Der junge französische Zeichner Jéremy Perrodeau hat einen altvertrauten Stil für seinen Science-Fiction-Comic „Dämmerung“ gewählt. Das sieht wunderschön aus, aber ist es auch eine gute Geschichte?
Wunderschön sieht dieser Comic aus, nämlich so. Wer es richtig genießen will, klickt das Cover von „Dämmerung“ an, um es ganz allein auf dem Bildschirm zu haben. Wie schön diese deutschsprachige Ausgabe geraten ist, zeigt der Vergleich mit dem 2017 erschienenen Original „Crépuscule“. Auch nicht schlecht, aber die Ausgabe der Edition Moderne ist eleganter und erzählt mehr über den Comic.
Was gibt es über diesen Comic zu erzählen? Dass seine Seiten jeweils in unterschiedlichen monochromen Zusatzfarben gehalten sind. Es geht los mit Gelb – Wüstenplanet-Stimmung. Und wenn ich sage: Es geht los, dann ist das ein Start wie in keinen anderen Comic, nämlich ohne jede Verzögerung durch Vorsatz oder Titelei, man blättert auf und ist sofort im Geschehen. Das beginnt wie eine Evolutionsgeschichte: wortlos, mit einer Art Befruchtung eines unbelebten Planeten. Und wenn wir nach Feuer, Wasser und Pflanzen beim tierischen Leben angekommen sind, ist die stumme Exposition vorbei, und es kommt nach acht Seiten doch noch eine nachtschwarze Titelseite mit dem weißen Schriftzug „Dämmerung“. Danach geht es mit einem langen rot eingefärbten Kapitel weiter, ehe wir wieder kurz zum Gelb zurückkommen, dann nochmal Rot, wieder Gelb, ein blasseres Rot, des mitten drin in Hellblau umschlägt, und noch zweimal gelbe Unterbrechungen, bis alles nach 125 Seiten in Blau ausläuft, das sich in einem fünfseitigen, abermals stummen Epilog ins Nachtschwarz verliert. Ganz zum Schluss ist da nur noch Sternenhimmel.
Ist damit etwas über diesen Comic erzählt? Nur formal, kaum inhaltlich. Deshalb dazu ganz kurz: Die Besatzung einer zur Beobachtung jenes Planeten eingesetzten Raumstation ist auf mysteriöse Weise verschwunden, also schickt die Zentrale ein Raumschiff zur Klärung der Situation hinterher, und dessen Insassen erkennen bald, dass ihre vermissten Kollegen auf der Planetenoberfläche verschollen sein müssen. Sie folgen ihnen dorthin und erleben eine seltsame sich ständig verändernde Welt.
So weit, so absehbar. Die Motive, die der junge französische Autor und Zeichner Jéremy Perrodeau hier verwendet, gehören zu den vertrautesten des Science-Fiction-Genres. Wer bei der Lektüre seines Comics nicht an Filme wie „Solaris“ von Tarkowski oder „2001 – Odyssee im Weltraum“ von Kubrick denkt, der hat sich mutmaßlich noch nie für Science-Fiction interessiert, und wer ein bisschen tiefer ins Genre, zumindest in dessen Comic-Aspekte, eingedrungen ist, dem wird die „Edena“-Serie von Moebius einfallen. Das sind sämtlich Meilensteine ihrer Art, und wer sich mit ihnen messen will, der wagt viel.
Das sieht man aber Perrodeaus Comic nicht sofort an, er bezirzt erst einmal durch seine graphische Gestaltung. Wobei ich zugeben muss, dass ich nach der ersten Begeisterung dachte: Nicht schon wieder Nouvelle Ligne Claire! Wir haben doch von Leuten wie Daniel Torres, Yves Chaland, Serge Clerc, Helge Reumann oder Chris Ware schon genug Futuristisch-Grandioses in diesem Stil gelesen. Ein 1988 geborener Zeichner müsste doch einen weniger etablierten Stil finden können, um zu signalisieren, dass er etwas Neues machen will. Aber Perrodeau macht eben nichts Neues. Die Leseprobe der Edition Moderne zeigt das ganz deutlich.
Und weil das so ist, kann Perrodeau sich bei der Geschichte darauf verlassen, dass sein Publikum in der richtigen Stimmung sein wird, so dass narrative Stringenz gar nicht nötig ist. Wir werden von diesem Buch in einen Flow versetzt, von dem wir uns durchs Geschehen treiben lassen können. Ob er uns mitreißt oder eher nur dümpeln lässt, entscheidet sich wohl daran, wie viel Liebe zur Science Fiction man besitzt.
Meine ist gar nicht allzu ausgeprägt, also hat mich der Anspielungsreichtum von „Dämmerung“ nicht verführen können. Was ich aber gemocht habe, ist Perrodeaus Dramaturgie – gerade, weil sie nach klassischem Verständnis ins Leere läuft. Doch die Farbwechsel akzentuieren verschiedene Ebenen der Geschichte, was einen anderen Zugang zu ihr ermöglicht als den von üblicher Handlungslogik. Man ist als Leser herausgefordert, sich „Dämmerung“ anders zu erschließen, als es bei einer geradlinigen Erzählung der Fall wäre. Perrodeaus Szenario führt uns auf Um- und Irrwege, lässt Parallelen zu, aber schließt auch Kreise. Am Ende steht in mehrfacher Hinsicht Leere, und das wird manche Leser frustrieren. Aber ohne genau beschreiben zu können, warum, fühle ich mich von „Dämmerung“ erfüllt. Oder doch ein Versuch, es zu beschreiben: weil man sich in diesem Comic genauso verliert wie dessen raumfahrenden Protagonisten.