Der norwegische Zeichner Oyvind Torseter hat mit „Ein Mann für alle Fälle“ eine Art kindgerechter James-Bond- und Jason-Bourne-Geschichte geschaffen.
Nachdem ich an dieser Stelle vor drei Jahren zum ersten Mal über Oyvind Torseter geschrieben hatte, las ich lange nichts mehr von ihm, hörte aber immer wieder viel Gutes über seine weiteren Comics. Und nun ist auf Deutsch „Ein Mann für alle Fälle“ erschienen, eine Geschichte, die mich beim Aufblättern sofort in ihren Bann zog, weil darin Bilderbuch- und Comicästhetik produktiv gemischt werden. Ein ständiger Wechsel zwischen ganz- oder doppelseitigen Bildern und Panel-Blöcken von jeweils vier pro Seite sorgt für eine spannungsfördernde Dramaturgie, weil in den großen Darstellungen zahllose Details untergebracht werden, während die kleinteiligen Bildsequenzen meist nur die Figuren vor leere Hintergründe stellen, mit dieser Fokussierung aber das von ihm meisterhaft beherrschte minimalistische Mienenspiel à la Tove Janssons „Mumins“ erst richtig zur Geltung kommen lassen. Torseter weiß aber nicht nur, was die Comic- und Bilderbuchtradition so alles hergibt, er hat auch die großen Cartoonisten wie Tomi Ungerer, Ronald Searle oder Sempé genau studiert und führt deren scharf-feinen Strich in die Hintergründe seiner größeren Bilder ein. „Ein Mann für alle Fälle“ wird so zur allfälligen Hommage.
Wer sich eine konkrete Vorstellung davon machen will, wie das aussieht, wird vom deutschen Gerstenberg-Verlag wieder mal nur mit dem Titelbild abgespeist. Aber der der norwegische Originalverlag des dort 2018 erschienenen Comics bietet eine ordentliche Leseprobe an, die aber selbstverständlich den norwegischen Text enthält. Da sieht man auch den subtilen Einsatz von Zusatzfarben, den Torseter hier pflegt, und man kann auf einem Bild schon eine Figur ausmachen, die später die Rolle des Bösewichts spielen wird. Ich werde mich aber hüten zu verraten, welche es ist.
Wobei das eigentlich egal wäre, denn die meiste Zeit tritt sie eh als nahezu gesichtsidentischer Doppelgänger von Hans auf, des Ich-Erzählers in diesem Comic, der sich als „Mann für alle Fälle“ im Präsidentenpalast verdingt. Der Präsident regiert einen Staat mit augenscheinlich sehr divers zusammengesetzter Bevölkerung, der über Atombomben verfügt und in Systemkonkurrenz mit einem Land steht, über das eine rote Krake herrscht (dieses Symbol der Bedrohung kennen wir schon aus Torveters „Der siebente Bruder“). Den Präsidenten selbst zeichnet er als Elefant, und man darf wohl annehmen, dass damit etwas über dessen Charakter ausgesagt werden soll – weniger eines guten Gedächtnisses wegen als eines trampel-/trumphaften Verhaltens. Man wagt wohl nicht viel, wenn man sagt: Der namenlose Staat im Comic steht für die Vereinigten Staaten.
Wobei auch das egal ist, denn hier wird keine Politsatire betrieben, sondern die Geschichte einer gestohlenen Identität erzählt. Hans wird eines Tages von seinem Doppelgänger auf der Straße erwartet und kann diesem angesichts seines unwiderstehlichen Lächelns (das Einzige, was die beiden unterscheidet) nicht abschlagen, ihm alles auszuhändigen, was er bei sich trägt. Ausgestattet mit Hans‘ Kleidung und Wohnungsschlüssel nimmt der dreiste Doppelgänger nun dessen Platz ein, und alle Proteste von Hans bei der Polizei fruchten nichts, weil da ja jemand sein Leben lebt, der genauso aussieht wie er und dabei noch freundlicher lächelt.
Auch den Job im Präsidentenplast nimmt der Hochstapler ein, und alsbald vertraut der Hans gegenüber vertrauensselige Staatschef ihm den Atomkoffer an, so dass nun die ganze militärische Gewalt des Landes in den Händen eines Schurken liegt. Dass der den Koffer nicht wie beabsichtigt an den feindlichen Krakenstaat verkaufen kann, ist nur der Tatsache zu verdanken, dass Hans in seiner Verzweiflung die Detektivin Fräulein Cadmium engagiert, die den Doppelgänger doch noch auffliegen lässt.
Was hochdramatisch klingt, wird von Torseter kindgerecht erzählt: mittels seiner abwechslungsreichen Bilder und eines lapidaren Tons, der mehr mit Untertiteln arbeitet als mit Sprechblasen. Die Geschichte nimmt zahlreiche Topoi der Schwarzen Serie auf: Hans trägt Trenchcoat wie Humphrey Bogart, und Fräulein Cadmium wiederum ist als Ermittlerin ein Typ im Geiste von Philip Marlowe. Das macht immens viel Freude, gerade weil das alles so unaufgeregt daherkommt. Selbst wenn es am Ende einen Showdown gibt, der auch in einen James-Bond-Film passen könnte. Und zuvor folgt das Geschehen dem Muster der Filmreihe um Jason Bourne:
So jedenfalls kann man Kinder den Themen der Weltpolitik aussetzen – als lustige Verfolgungsjagd in einer Phantasiewelt, die aber Anknüpfungspunkte zur Realität en masse bietet. Bis zur nächsten Lektüre eines Torseter-Buchs werde ich nicht drei Jahre verstreichen lassen.