René Goscinny, der Kopf hinter „Asterix“, durchlitt viel, bis er Erfolg hatte. Seine Tochter Anne hat der französischen Zeichnerin Catel davon erzählt. Und dann hat die mit ihrem Band „Die Geschichte der Goscinnys“ leider bewiesen, dass es noch viel weniger witzig geht.
Er war der Größte, obwohl man auf den Fotos von ihm sehen kann, wie klein er war: René Goscinny aber war ein Gigant des Comics, sein „Asterix“ ist eine Offenbarung an Witz und Seele, und was nach seinem Tod noch Weiteres in der Reihe kam, ließ genau das vermissen. Auch Jean-Yves Ferri, „Asterix-Szenarist seit 2013 und vorher schon bekannt als großer Comic-Humorist, hat es noch nicht vermocht, zu Goscinnys Bänden aufzuschließen. Von Ein- oder womöglich Überholen gar keine Rede.
Dass Goscinny ein faszinierendes, auch tragisches Leben hatte, auch ohne den eigenen frühen Tod mit fünfzig im Jahr 1977, war längst bekannt. Große Teile seiner jüdischen Familie, vor allem mütterlicherseits, wurde von den Nazis in der Schoa ermordet. Er selbst überlebte, weil der Vater seit den späten zwanziger Jahren in Argentinien arbeitete und seine Frau und die beiden Söhne hatte nachkommen lassen. Doch der Vater starb selbst überraschend noch mitten im Krieg, 1943, und fortan war die soziale Sicherheit der Familie weg: René Goscinny, damals erst siebzehn, musste die Schule verlassen und arbeiten gehen. Irgendwann führte ihn das in die Redaktionen von amerikanischen Humorzeitschriften, aber Erfolg hatte er keinen – bis er 1951 nach Europa zurückkehrte, und auch dort dauerte es noch ein paar Jahre. Aber nachdem er den Zeichner Albert Uderzo getroffen hatte, wusste Goscinny, was er nicht weiter tun sollte (zeichnen) und worin sein Talent bestand: Schreiben.
Über diesen Autor ist unendlich viel geschrieben worden, auch von seiner Tochter, Anne Goscinny, geboren 1968, die selbst Schriftstellerin geworden ist, und zwar eine in Frankreich durchaus erfolgreiche. In Comics aber hat Anne Goscinny nie ihre eigene Ausdrucksform gesehen, obwohl sie die Erählform liebt. Einen Comic über René Goscinny sollte es ihrer Meinung nach aber geben und deshalb traf sie sich vor einigen Jahren mit der französischen Zeichnerin Catel Muller, die ihren Vor- als Autorennamen benutzt. Die aber hatte sich in ihren vielbeachteten Comics bislang auf Frauenbiographien konzentriert, weil es in der Comicgeschichte schon genug berühmte Männer (Helden wie Künstler) hat. Sie gab Anne Goscinny dementsprechend einen Korb, doch die beiden Frauen freundeten sich an, und irgendwann war Catels Neugier darauf, ein solches Leben zu zeichnen, zu groß geworden. Ihre Bedingung, um der eigenen Überzeugung treuzubleiben: Sie würde auch über das Leben von Anne Goscinny erzählen. Und so entstand ein Band von 330 Seiten mit dem Titel „Le roman des Goscinnys“, der im Deutschen jetzt „Die Geschichte der Goscinnys“ heißt – als wäre die Kategorie „Roman“ im Titel nicht wichtig für ein solches Buch.
Überhaupt ist es mit der Übersetzung dieses Comics so eine Sache. Dass Uli Pröfrock seine Sache gewohnt gut gemacht hat, muss man bei diesem Tausendsassa des Comic-Übersetzens eigentlich nicht eigens erwähnen. Aber ein Gutteil des Buchs besteht aus faksimilierten Seiten aus Goscinnys Nachlass – Jugendskizzen und Geschichtsentwürfen -, die natürlich im Original in französischer Handschrift gehalten sind. Sie alle wurden nun ins Deutsche übersetzt und neu gelettert, was nicht nur den ursprünglichen Eindruck verfälscht, sondern die ganze Buchgestaltung ruiniert, denn im Nebeneinander der graphischen Handschriften Catels und Goscinnys liegt eine Besonderheit dieses Bandes. Dass dazu auch noch bisweilen vergessen wurde, einzelne französische Elemente zu übersetzen, macht die Entscheidung für eine deutsche Fassung noch willkürlicher. Was hätte es geschadet, die Übersetzungen in einem Anhang beizugeben? Oder zur Not kleingedruckt am Fuß der jeweiligen Seiten? Der Carlsen Verlag opfert hier der Bequemlichkeit seine Reputation als sorgsamer Sachwalter französischer Comics.
Und diese Schwäche trifft einen Band, der ohnehin nicht gerade ein Meisterwerk genannt werden kann. So gefällig Catels graphischer Stil ist (eine Leseprobe bietet Carlsen – im Gegensatz zum französischen Originalverlag Hachette – nicht an, hier kann man aber zumindest das deutsche, am Gauloises-Zigaretten-Emblem orientierte Cover sehen), so verstörend ist dessen Epigonalität. Sich bei den Figuren an Dupuy & Berberian zu orientieren, muss kein Mangel sein, wenn wenigstens noch ein Hauch Eigenständigkeit zu erkennen wäre. Aber die Form- und Farbdramaturgie des Comics sind bei Riad Sattoufs „Araber von morgen“ entlehnt. Klar, ein erfolgreicheres Vorbild ist in Frankreich kaum denkbar. Aber warum dann nicht gleich beim allererfolgreichsten, also bei „Asterix“, klauen?
Zudem erzählt Catel René Goscinnys Leben gerade einmal bis zur Geburt von „Asterix“. Mag ja sein, dass danach alles bekannt ist, wobei es schon interessant gewesen wäre, etwas über die Zusammenarbeit mit Jean Tabary an „Isnogud“ zu erfahren oder auch über die „Asterix“-Trickfilme, die Goscinnys größter (oft auch fehlgeleiteter) Ehrgeiz in seinen letzten Jahren waren. Vom berüchtigten Aufstand der „Pilote“-Redaktion im Jahr 1968 gegen ihren Chefredakteur Goscinny kein Wort, obwohl der den sensiblen Mann so schwer traf wie kein anderes Ereignis nach dem Tod seines Vaters. Stattdessen immer wieder female bonding zwischen Anne Goscinny und Catel bis hin zu einem unsagbar peinlichen Beisammensein am Swimmingpool, das einem den Verdacht eingibt, dieser Comic wäre nichts anderes als eine Sektlaune der beiden Frauen gewesen. Sie sind jedenfalls von allen guten Geistern verlassen worden, als sie ihn konzipiert haben. Vor allem vom großen Geist der Comicszenaristen, der René Goscinny gewesen ist.