Zum zweihundertsten Geburtstag von Friedrich Engels gibt es nun einen biographischen Comic. Aber der ist leider überhaupt nicht das, was sein Gegenstand war: revolutionär.
Gibt es in diesem Jahr voller runder Jahrestage prominenter alter weißer Männer einen Hegel-, einen Hölderlin- oder einen Celan-Comic? Bildslang meines Wissens nach nicht, aber ein anderer Jubilar hat mehr Glück gehabt: Friedrich Engels, seines Zeichens „Unternehmer & Revolutionär“ (so der Untertitel) und geboren 1820, also vor zweihundert Jahren, in Barmen. Für die weniger Geschichtskundigen unter uns: Diese bergische Stadt gibt es nicht mehr, weil sie 1929 mit dem benachbarten Elberfeld vereinigt und die neue Doppelgemeinde ein Jahr später in Wuppertal umbenannt wurde. Daran dürfte Engels, der berühmteste Sohn der Stadt, nicht ganz unschuldig gewesen sein, denn 1839 hatte er als blutjunger Journalist für eine Monatszeitschrift zwei „Briefe aus dem Wuppertal“ geschrieben, deren erster so begann: „Bekanntlich begreift man unter diesem bei den Freunden des Lichtes sehr verrufenen Namen die beiden Städte Elberfeld und Barmen, die das Tal in einer Länge von fast drei Stunden einnehmen.“
In Wuppertal residiert heute der Comic-Kleinverlag Edition 52, der sich das Jubiläum nicht entgehen lassen wollte, wenn sich auch die Feiern zu Ehren des Mitbegründers der kommunistischen Theorie außerhalb der Stadt in Grenzen halten. Und so muss man hoffen, dass der eher kleinformatige Schwarzweißband zumindest dort Verbreitung findet, denn leider wurde die Chance vertan, dem durchaus weltweit noch bekannten Friedrich Engels eine attraktiv aufgemachte Comicbiographie zu widmen. Schon die Titelzeichnung zeigt nicht das emblematisch gewordene Vollbartantlitz des älteren Engels, wie man es von tausend Bannern kennt, sondern einen bebrillten, langhaarigen Jungspund, der aussieht wie ein Typenmodell für die Asservatenkammer des neunzehnten Jahrhunderts. Entindividualisiert. Gut, dass wenigstens der Name „Engels“ groß aufgedruckt wurde.
Im Inneren sieht der Band nicht wesentlich besser aus, nämlich so. Das ist eine Szene aus dem Jahr 1849, als auch in Elberfeld Revolution herrschte. Zugleich saß Engels mit dem Redaktionskollegen Karl Marx im nicht allzu fernen Köln und heizte nicht nur den Aufstand mit Artikeln an, sondern brach auch selbst ins heimatliche Wuppertal auf, wo man gegen ihn aber sofort ein Aufenthaltsverbot verhängte. Alsbald wurden er und Marx dann auch in Deutschland nicht mehr geduldet, und beide beschlossen ihr Leben schließlich in England. Das kannte Engels gut, denn 1843 war er als Unternehmersohn nach Manchester geschickt worden, um sich dort in der Firmenführung zu bewähren. Was er dabei an sozialem Elend gesehen hatte, machte ihn erst zum Revolutionär.
Ähnlich sprunghaft wie dieses kurze Resümee seines Lebens ist auch dessen Behandlung im Comic „Engels“. Die Zeiten ändern sich permanent, und die assoziative Klammer über Jahrzehnte hinweg ist bisweilen arg gesucht. Der Zeichner Christoph Heuer, der zusammen mit dem Journalisten Fabian W. W. Mauruschat auch das Szenario geschrieben hat, setzt leider viel mehr auf Wort- als auf Bildverbindungen. Der alte Engels ist es bei ihm, der sich zu mehreren Anlässen an seine jungen Jahre erinnert und damit die jeweiligen Episoden auslöst. Dieser Kunstgriff ist vertraut und leider langweilig. Warum wird einem Umdenker wie Engels nicht etwas mehr eigenes Gehirnschmalz gewidmet, auf dass der ihn ehrende Comic selbst ein wenig revolutionär daherkäme?
Alles ist sehr didaktisch gedacht, und das Quellenverzeichnis für die Darstellung füllt vier ganze Seiten. Dass mit Georg Fülberth ein Engels-Biograph darunter vertreten ist, der orthodoxer Marxist ist, darf man als Segen bezeichnen, denn seine Arbeit bemüht sich wenigstens noch um eine Standortbestimmung im Sinne des historischen Materialismus, während die intellektuellen Salonlinken à la Slavoj Zizek nur noch Zerrbilder des Porträtierten abliefern. Gut, deren Lektüre haben sich Heuer und Mauraschat gespart, aber dass dann Raoul Pecks Spielfilm „Der junge Marx“ als Inspiration auftaucht, enttäuscht wieder. Der Kampf ums Nachleben von Engels hätte eine schöne Coda abgegeben, doch stattdessen bemüht sich ein Epilog, den Uwe Garske, Verleger der Edition 52, verfasst hat, verzweifelt um eine Aktualisierung und lässt zuschlechterletzt Engels als Hipster namens Fred auf einer Demonstration unserer Tage auftreten. His Marxist Majesty wouldn’t be amused.
Im Literaturverzeichnis findet sich auch das erklärte Comic-Vorbild für „Engels“: Alan Moore und Eddie Campbells „From Hell“, die akribisch recherchierte Phantasmagorie über Jack the Ripper. Ähnliche Zeit, teilweise gleicher Schauplatz (London), verwandtes politisches Anliegen. Aber welch ein Unterschied zwischen Campbells im Stil der Graphik des neunzehnten Jahrhunderts angenäherten eleganten Schwarzweißzeichnungen und den leider recht plumpen, vor allem in den Körperproportionen buchstäblich ungelenken Tuschezeichnungen von Heuer. Da wünschte man sich, das Vorbild wäre unerwähnt geblieben. Und für eine bessere Engels-Comicbiographie ist auch noch Platz.