Ein halbes Jahrzehnt David Bowie: Michael Allred und Steve Horton erzählen vom Aufstieg des Popstars bis zum Jahr 1973. Ihr Comic ist ganz dem Stil jener Zeit verpflichtet, aber hat den bekannten Anekdoten wenig hinzuzufügen.
Als ich kürzlich mit einem Freund über die erfolgreichen Rockmusik-Filmbiographien aus jüngster Zeit sprach – Freddie Mercury, Elton John –, fragten wir uns, welcher Star wohl als nächster dran wäre, und unsere einhellige Meinung war: David Bowie. Nun brauchen Spielfilme Zeit, und Bowie ist erst vier Jahre tot. (Obwohl, meine Güte: schon vier Jahre? Ich weiß noch, wie mich Dietmar Dath an jenem Montag mit der Nachricht im Büro empfing, als ich ahnungslos vom Zug kam.) Comics sind da schneller. Und Reinhard Kleist, der erst vor zwei Jahren weltweiten Erfolg mit seiner Nick-Cave-Biographie hatte (von seinem 2006 publizierten Johnny-Cash-Album ganz zu schweigen), sitzt in diesen Corona-Tagen im Berliner Atelier und treibt seinen Bowie-Band voran. Dass er daran sitzt, wusste ich bereits seit einer Weile, aber nun hat er es selbst öffentlich gemacht: mit seinem Beitrag zur vom Erlanger Comic-Salon angeregten Netzserie „Zeichnen aus dem Homeoffice“. Dieser Schwung lässt einiges erwarten.
Aber nicht Kleist wird als Autor der ersten Comicbiographie von Bowie in die Annalen eingehen, sondern seine amerikanischen Kollegen Michael Allred und Steve Horton. Der Zeichner Allred ist als Jahrgang 1969 ein Jahr älter als Kleist, und beide gehören damit einer Generation an, die eher durch den Bowie der Let’s-Dance-Phase in den Achtzigern geprägt worden sein dürfte als durch den Art- und Glamrocker der frühen Siebziger. Horton ist sogar noch etwas jünger, und wenn er Pech hatte, musste er Bowie als Mitglied von „Tin Machine“ kennenlernen. Und doch haben er und Allred sich für ihren Band „Bowie – Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“ den ganz jungen Sänger vorgenommen. Ihr Comic erzählt von den späten sechziger Jahren, als der 1947 geborene Bowie sich als Pantomime ausbilden ließ und eher zufällig als Sänger entdeckt wurde, bis zum 3. Juli 1973, als die „Working Together“-Tournee zu Ende ging und Bowie das Abschlusskonzert in London zur Überraschung aller, nicht zuletzt der eigenen Band, mit den Worten beendete, dies sei überhaupt sein letztes Konzert gewesen. Dabei stand er damals auf dem Höhepunkt des Ruhms. Big in Europa und Amerika. Und in Japan sowieso.
Nun weiß jeder halbwegs Interessierte, was nach dem Sommer 1973 musikalisch noch folgte: erst die amerikanische Phase, dann die Berliner Jahre, der Megaerfolg in den Achtzigern und das alles begleitet von etlichen jener kostümierten Rollenspiele, die Bowie mit einer Konsequenz betrieb wie kein anderer Popmusiker. Er hatte am 3. Juli 1973 denn auch nicht das Ende von David Bowies Konzertaktivitäten verkündet, sondern das seines Alter Egos Ziggy Stardust, den er auf Platten und Bühnen zwei Jahre lang verkörpert hatte. Pech nur, dass das gleichzeitig auch das Ende für seine Begleitband bedeutete, die als „Spiders from Mars“ untrennbar mit der Ziggy-Rolle verbunden waren und also auch nicht weiterleben durften. Immerhin hatte Bowie mit dem Gitarristen Michael Ronson, dem Schlagzeuger Woody Woodmansey und dem Bassisten Trevor Bolder einige seiner wichtigsten Platten eingespielt, darunter 1971 die in meinen Augen beste seiner ganzen Karriere: „Hunky Dory“. Aber das ist Geschmackssache.
Auch Geschmackssache ist zweifellos Allreds und Hortons Bowie-Comic. So sieht er aus, und diese zehnseitige Leseprobe macht sofort klar, dass Allred im exaltierten Stil der Handlungszeit geradezu schwelgt (seine Frau Laura hat das aufwendige kunterbunte Kolorieren übernommen). Diese Graphik-Apologetik erinnert an den niederländischen Zeichner Typex, der für seine grandiose Andy-Warhol-Biographie jedes einzelne Kapitel im jeweils dazu passenden zeitgenössischen Comicstil gehalten hat. Nur, dass Allred nicht variiert. Muss er auch nicht, denn es geht ja allein um die psychedelischen Jahre von 1968 bis 1973. Aber Hand aufs Herz: 150 Seiten graphisch getreu wiederbelebte siebziger Jahre können ganz schön auf die Nerven gehen.
Dabei erklärt niemand Geringerer als Neil Gaiman in seinem Vorwort zum Bowie-Comic, dass er Allreds Zeichnungen liebe. Mag sein, man muss sich ja nur die Gaimansche „Sandman“-Serie mit ihren alles andere als revolutionären Zeichnern ansehen, um zu wissen, dass Gaiman trotz seinem avantgardistischen Ruf graphisch ein Traditionalist ist. Aber er muss ja auch nicht selbst zeichnen. Wie hat er es nur so lange mit Dave McKean ausgehalten? Aber der durfte bei „Sandman“ ja auch nur noch Cover gestalten. Allred dagegen passt genau ins Beuteschema des Star-Autors (und wurde im Rahmen von „Sandman“ denn auch schon einmal als Zeichner tätig). Hätte doch Gaiman für ihn den Bowie-Comic geschrieben! Fan ist er ja, wie man seinem Vorwort entnehmen kann. Und zwar auch gerade des Bowies der Ziggy-Stardust-Epoche.
Aber nein, derzeit ist Gaiman mit der Vorbereitung der „Sandman“-Fernsehserie befasst, hat ein weiteres TV-Serien-Projekt gemeinsam mit Art Spiegelman in Arbeit, über das aber noch nicht viel bekannt ist, und so hat Steve Horton die Sache verfasst – auf der Grundlage von zwei Dutzend Büchern über Bowie, aus denen er etliche schöne Anekdoten herausgelöst hat. Aber viele Anekdoten ergeben noch keine schlüssige Geschichte, und das ist das Problem des Comics: Er bleibt an der Oberfläche, über die Persönlichkeit Bowies erfährt man so gut wie nichts. Wozu denn, könnte man fragen, der Mann gab sich ja auch nur als Fassade. Aber da er das so erfolgreich tat, ist auch fast alles bestens bekannt, was hier erzählt wird. Man bekommt es nur noch einmal besonders spektakulär gezeichnet aufbereitet. Aber wenn man mit der Mischung aus amerikanischem Superhelden-Stil à la Steranko und französischer Fantasy-Ästhetik à la Moebius nicht viel anfangen kann, bleibt eben Langeweile.
Vielleicht ist der Band ein Gottesgeschenk für diejenigen, die Bowie vergöttern, aber ich möchte es bezweifeln, eher ein Gottesgeschäft für den amerikanischen Verlag Insight Comics und (hoffentlich) auch den deutschen Splitter Verlag. Was Bowie über seine Musik hinaus (die im Comic im Gegensatz zu einem Film nun einmal nicht zu hören ist) nach wie vor interessant macht, ist das Transgressive seiner Existenz: ästhetisch, sexuell, medial. Doch in diesem Comic ist alles nur wie in Trance, besoffen durch die Opulenz von Bowie, die es aber nicht einfach abzubilden, sondern zu deuten gälte. Nicht nur wegen der Kunstfertigkeit bei der Inszenierung seines Lebens hätte David Bowie eine Comic-Biographie verdient, die diese Kunst selbst beherrscht und sich nicht im Nachzeichnen von Lebenslinien erschöpft. Eine Comic-Biographie, wie sie Reinhard Kleist mit seinem Album über Nick Cave vorgelegt hat. Und so schließt sich der Kreis: Der Berliner könnte zumindest noch zu dem Comiczeichner werden, der Bowie als Erster gerecht geworden ist. Wenn er ihn denn so gegen den Strich bürsten sollte, wie Bowie das selbst immer wieder vorgemacht hat.