Einmal bin ich dem jetzt verstorbenen Asterix-Zeichner begegnet. Eine Reminiszenz in Splittern.
Ich erinnere mich … an den 12. Juni 2004, an die Stadt Erlangen im schönsten Spätfrühlingslicht. Albert Uderzo war angekommen, und alle, die sich für Comics interessierten – und das tun in Erlangen seit 1984 mehr Bürger als in jeder anderen deutschen Stadt, weil hier alle zwei Jahre der Internationale Comicsalon stattfindet –, freute sich auf den Asterix-Zeichner. Ein veritabler Weltstar zu Gast. Das passiert der kleinen Universitätsstadt nicht alle Tage. Das Goldene Buch der Stadt lag für den Franzosen schon bereit.
Ich erinnere mich … an die Sitzung der Jury des Max-und-Moritz-Preises, der ich damals angehörte, einige Monate zuvor. Eine feste Kategorie dieser angesehensten deutschen Comicauszeichnung ist der Preis für ein Lebenswerk, und es war jedes Mal eine Gratwanderung, den aktuellen Gewinner zu bestimmen. Nicht, weil es an Auswahl gefehlt hätte, sondern weil man einerseits einen echten Großen des Metiers prämieren will (wobei der Preis undotiert ist), andererseits aber auch sicherstellen möchte, dass er wirklich nach Erlangen zur Preisverleihung kommt. Diesmal hatte das Kulturamt der Stadt ein Signal aus Frankreich bekommen, dass Albert Uderzo sich vorstellen könnte anzureisen. Eine Überraschung, denn es gab gar kein neues Album zu bewerben. „Asterix und Latraviata“ war 2001 erschienen, von „Gallien in Gefahr“, das 2005 herauskommen würde, ahnte noch niemand etwas (was für ein Glück!). Wahrscheinlich hatte der damals bereits siebenundsiebzigjährige Uderzo einfach Zeit übrig. Und Lust, gefeiert zu werden. Aber kann man sich als Jury dadurch die Entscheidung so leicht machen? Zumal angesichts der bescheidenen Qualität der jüngeren „Asterix“-Bände? Aber die älteren! Was gäbe es Besseres. Also fiel der Beschluss einstimmig, Uderzo den Lebenswerkpreis zu geben.
Ich erinnere mich … an die Bauchschmerzen, die es mir bereitete, als im Rahmen der Vorbereitungen zur Preisverleihungsgala im Markgrafentheater die Idee aufkam, dass ich auf der Bühne ein Gespräch mit Uderzo führen sollte. Mein aktives Französisch ist bestenfalls holprig zu nennen. Ob niemand sonst sich berufen fühlte, daran erinnere ich mich nicht.
Ich erinnere mich … an mein frühnachmittägliches Treffen mit dem erst seit wenigen Stunden angereisten Uderzo im Hotel „Bayrischer Hof“, wo der Comicsalon seine Stargäste unterzubringen pflegt. Im Foyer waren Asterix-Aufsteller zum Empfang des Zeichners arrangiert. Er erwartete mich aber zusammen mit einer Übersetzerin auf seinem Zimmer. Taubenblauer Anzug über himmelblauem Hemd, blau gemusterte Krawatte, die Pressekonferenz hatte er gerade hinter sich gebracht. Aber keine Spur von Müdigkeit, fester Händedruck und freundliche Reaktion auf mein gestammeltes Französisch. Dann zur Sicherheit weiter mit der Hilfe der Dolmetscherin. Denn Uderzo hatte sehr genaue Vorstellungen von der abendlichen Vorstellung.
Ich erinnere mich … dass er nicht nur exakt wissen wollte, wie der Ablauf seines Auftritts bei der Preisverleihung sein würde, sondern auch alle Fragen, die ich auf der Bühne stellen wollte, im Voraus schriftlich ausformuliert erwartete. Das war einerseits gut, denn es würde jedes Stocken verhindern. Und es war andererseits schlecht, denn nichts wirkt langweiliger auf ein Publikum als ein Gesprächspartner, der seine Fragen von einem Zettel abliest. Und Uderzo bestand darauf, dass es keine Abweichungen vom abgesegneten Text gebe. Für mehr als drei oder vier Fragen sollte eh keine Zeit sein. In seinem Hotelzimmer immerhin hatten wir gemeinsam eine runde halbe Stunde. Dann wollte er sich ausruhen.
Ich erinnere mich … dass Uderzo wie alle anderen anwesenden Preisträger im Parkett des Markgrafentheaters Platz nahm. Das waren immerhin Ulf K., Volker Reiche und Flix, also gleich drei deutsche Zeichner, die ich sehr bewundere. Aber nur Uderzo wusste schon, dass er auch wirklich einen Max-und-Moritz-Preis erhalten würde, denn die anderen Gewinner wurden erst während der Gala bekanntgegeben. Deshalb fehlte ihm die Spannung, und in Erlangen dauern Preisverleihungen immer viel länger, als geplant. Und Uderzo war selbstverständlich als Höhepunkt vorgesehen. Gut, dass er vorgeschlafen hatte.
Ich erinnere mich … dass, als es endlich doch soweit war, Uderzo mit drei als Asterix, Obelix und Miraculix kostümierten Menschen auf die Bühne kam, wo ihn der damalige Erlanger Oberbürgermeister Siegfried Balleis anstrahlte wie ein Honigkuchenpferd. Apropos Kuchen: Ob der französische Ehrengast wusste, was er mit den ihm übergebenden Max-und-Moritz-förmigen Broten anfangen sollte? Ich erinnere mich lieber nicht an all die vergessenen oder später von den Preisträgern entsorgten Gebäckstücke.
Ich erinnere mich … dass der Jubel im Saal kein Ende nehmen wollte. Und dass Uderzo strahlte. Ein Profi. Der sich herzlich bedankte, auf Französisch. Aber ob ich dann auch nur ein Wort von meinen vorgefertigten und abgesegneten Fragen an ihn losgeworden bin, daran erinnere ich mich seltsamerweise auch nicht. Interessant wären die Fragen eh nicht gewesen, denn natürlich war jeder ursprünglich kritische Anklang, etwa zur Qualität der „Asterix“-Alben nach René Goscinnys Tod, herausgestrichen worden. Daran erinnere ich mich noch richtig gut, vulgo: schlecht.
Ich erinnere mich … dass Albert Uderzo mir beim Abgang von der Bühne auf die Schulter geklopft hat. Habe ich ihn also doch etwas gefragt. Oder drückte er damit nur Zufriedenheit darüber aus, dass ich mich gar nicht erst in seinen Auftritt eingemischt hatte?
Ich erinnere mich … dass ich für verrückt erklärt worden bin, mir von Uderzo kein Album signieren zu lassen.
Ich erinnere mich … dass ich mich erinnern wollte, am Schluss dieser Erinnerungsfolge auf den Leipziger Autor Marcel Raabe zu verweisen, der bis zu diesem März im monatlich erscheinenden Leipziger Stadtmagazin „Kreuzer“ die von Phillip Janta illustrierte Serie „Westen werden“ veröffentlicht hat: mit lauter kurzen Texten, die alle mit der Formulierung „Ich erinnere mich“ anheben. Und dass ich mich deshalb daran erinnert habe, dass schon jemand anderer auf diese Idee gekommen war: der leider mittlerweile verstummte Schriftsteller Uli Becker in seinem 1985 erschienenen Büchlein „Alles kurz und klein“. Ich habe es sehr geliebt. Daran wollte ich auch erinnern. Vor allem aber an den vergangene Woche gestorbenen Albert Uderzo. Der mir so viele Erinnerungen geschenkt hat. Nicht er selbst als Person (dafür gibt es Fotos aus Erlangen). Aber mit seinem „Asterix“.