Andreas Platthaus: So spricht nun wirklich niemand

In Daria Bogdanskas autobiographischer Geschichte „Von unten“ unterhalten sich die Protagonistinnen in gendergerechter Sprache. Das mag glauben, wer will. Aber lesen mag man es nicht, was angesichts dieses sonst sehr guten Comics ein Jammer ist.

Was macht einen guten literarischen Dialog aus? Natürlich die Glaubwürdigkeit und die Authentizität des Klangs. Ein geschriebener Dialog sollte klingen, als wäre er gesprochen; und auch wenn etwa Horkheimer und Adorno sich sicher anders unterhalten haben als – sagen wir mal – mein Vater und ich, wird ihre Konversation doch nicht immer druckreif gewesen sein. Und schon gar nicht werden sie in Druckfassung gesprochen haben. Was hier meint: mit typographischen Besonderheiten, die semantische Bedeutung haben.

Einfacher ausgedrückt, nämlich mit einem Beispiel aus einem Kneipengespräch zweier junger Frauen, die sich über unfaire Bedingungen am Arbeitsplatz unterhalten: „Ich weiß nicht, ob ich mit meinen Kolleginnen darüber sprechen kann.“ – „Aber praktisch keiner von deinen Kolleg*innen hat einen Vertrag.“ Ist das ein glaubwürdiger Dialog? Natürlich nicht, weil nicht einmal die überzeugtesten Aktivisten in einer solchen gendergerechten Sprache reden. Wer sich um entsprechende Ausgewogenheit bemüht, wird dann vielleicht „mit meinen Kollegen und Kolleginnen“ verwenden. Oder einfach gleich „Kolleginnen“, mit generischem Femininum. Aber genau so, wie der Dialog hier zunächst zitiert wurde, steht er in den Sprechblasen des Comics „Von unten“, der gerade beim Avant Verlag erschienen ist.

Spannend wäre nun zu wissen, was im Original steht, denn die Geschichte ist aus dem Schwedischen übersetzt. Geschrieben und gezeichnet hat sie Daria Bogdanska, die man an ihrem Namen als polnischstämmig identifizieren kann, und in der Tat hat die 1988 geborene Dame Polen vor einigen Jahren verlassen und schließlich im schwedischen Malmö ein Studium als Comiczeichnerin aufgenommen, zu dessen Finanzierung sie sich als Hilfskraft in einem indischen Lokal verdingte. Was sie dort erlebt hat, ist der Gegenstand ihres Comics (eine Leseprobe gibt es hier), den Katharina Erben nun ins Deutsche übersetzt hat.

Ich kann leider kein Schwedisch, und deutsche Buchhandlungen führen im Regelfall keine schwedischen Titel, also ist die Überprüfung, was im Original steht, schwierig. Zumal der Verlag nicht den ursprünglichen schwedischen Titel nennt und als dessen Publikationsjahr 2010 angibt, was schwerlich wahr sein kann, weil im Comic von Ereignissen des Jahres 2012 die Rede ist, und ein Science Fiction ist das Ganze (leider) nicht. Hier ist also mutmaßlich recht sorglos mit der Bibliographie umgegangen worden, während man bei der Sprache umso sorgfältiger sein wollte. Um dann jenen unmöglichen Dialog zu fabrizieren, in dessen Art es auf den zweihundert Seiten noch weitere gibt. Und bisweilen verhaspelt sich der Text beim gendergerechten Sprechen sogar, wenn etwa das grammatische Doppelgeschlecht beim besten Willen orthographisch nicht mehr stimmt. Ach ja, wer politisch so korrekt sein will, hat eben keine Genauigkeit für den Text mehr übrig.

Das ist – wieder mutmaßlich – nicht die Schuld von Daria Bogdanska, sondern ihres deutschen Verlags und der Übersetzung. Ein per se politischer Comic wie dieser hat politisierte Sprache weiß Gott nicht nötig, um zu überzeugen, aber man will sich wohl gegen jeden Einwand des anvisierten engagierten Publikums absichern. Und man kann sich leicht die jungen Gewerkschaftsgruppen oder Nutzer eines Wohngemeinschaftsklos vorstellen, die zufrieden feststellen, dass ihre politisch motivierte Sprachpraxis nun also auch in den Comics angekommen sind. Aber das Kunstwerk, das ein Comic ist, wird durch alles entwertet, was seine Glaubwürdigkeit einschränkt. Und hier handelt es sich nicht um einen Thesencomic, der eine dazu adäquate sprachliche Form rechtfertigen könnte, sondern um eine autobiographische Erzählung, die nunmehr wie eine zurechtgelogene Geschichte klingt, in der abendlicher Gesprächsaustusch nach den Regeln politisch korrekten Deutschs verläuft. Hat das Schwedische überhaupt etwas Ähnliches?

Das heißt nicht, dass ich jeden Gebrauch solcher Gender-Manierismen ablehnte. Wer damit glücklich ist, soll es bleiben. Aber nur dort, wo es nicht dem höheren Zweck des Kunstwerks schadet, sonst sollte er es bleiben lassen. In Textkästen, also den reflektierenden Passagen eines Comics, mag man dergleichen meinethalben verwenden, wenn ich auch behaupten würde, dass jegliche Art orthographischer Mätzchen in Erzählungen generell heikel sind, weil sie den Lesefluss stören. So wie hier.

Und das ist ein Jammer, denn nachdem ich nach Lektüre des Klappentextes mit der Erwartung an „Von unten“ gegangen war, einen Agitprop-Comic zu konsultieren, war es umso erfreulicher, einen extrem interessanten und überaus persönlichen Einblick in prekäre Verhältnisse in einem reichen Land zu erhalten, die ich so anschaulich noch nicht geschildert bekam. Bogdanskas Stil Zeichenstil ist zwar alles andere als originell (so sehen Autorencomics mittlerweile seit zwanzig Jahren aus, als Seth, Joe Matt und Chester Brown diese Ästhetik populär gemacht haben, und man könnte noch viel mehr Vorbilder nennen), aber die schwarzweiße Optik im Cartoonstil ist mittlerweile auch eine Art Beglaubigungssignal für reale Geschehnisse in Comics geworden. Und dann geht das Ganze auch noch unerwartet gut aus. Das macht den Band so reizvoll, dass die Empfehlung uneingeschränkt gewesen wäre, wenn da nicht des guten politischen Willens zu viel eingeflossen wäre.

Andreas Platthaus: Welche Farbe hat Sex?

Das Zeichnerinnenkollektiv Spring widmet seine diesjährige Anthologie einem Thema, bei dem der männliche Blick als selbstverständlich gilt. Die Resultate zeigen, dass auch das ein Klischee ist.

Sex sells. Diese Verkäuferweisheit gilt natürlich auch für Comics. Die frühesten Beispiele für den sichtbaren Massen-Effekt von schlüpfrigen Comicdarstellungen waren die in den dreißiger und vierziger Jahren produzierten amerikanischen „Tijuana Bibles“, kleinformatige billig gedruckte Hefte, in denen bekannte Comic-Strip-Helden (die Bezeichnung ihres Genres verpflichtete) alle Hüllen abwarfen und munter mit anatomisch höchst realistisch gezeichneten Frauen kopulierten. Natürlich waren das Raubdrucke, denn niemals hätten Disney, Hearst, Chicago Tribune Syndicate und wie die Rechteinhaber alle hießen, gestattet, ihre familientauglichen Helden für frivole Spiele herzugeben. Angeblich wurden die Heftchen aus Mexiko in die Vereinigten Staaten geschmuggelt – daher ihr Name –, aber das gehört mit zum Mythos und sollte nur den Charakter ihrer Illegalität betonen, was die Verkaufschancen unterm Ladentisch noch einmal erhöhte. Und als Zielpublikum waren nur Männer im Visier. Wie man auch vermuten darf, dass die Zeichner alles Männer waren. Genau weiß man es aber nicht; die Forschung hat zwar schon viel über die Tijuana Bibles in Erfahrung gebracht, aber das seinerzeit zweckdienliche Anonym ihrer Schöpfer ist immer noch weitgehend gewahrt geblieben.

Das Sex sich gut verkauft, weiß natürlich auch das Spring-Kollektiv. Aber man sollte diesem seit anderthalb Jahrzehnten bestehenden lockeren Verbund von Comiczeichnerinnen nicht unterstellen, dass das der Hauptgrund war, ihr neues Jahresheft (im Mairisch Verlag), schon das sechzehnte seiner Art, dem Thema „Sex“ zu widmen. Vielmehr wollten die diesmal vierzehn beteiligten Zeichnerinnen einen anderen Blick auf die körperliche Liebe werfen: einen dezidiert weiblichen und damit weniger voyeuristischen, wobei es an Nackt- und Beischlafszenen nicht mangelt im 250 Seiten starken Band. Aber es tauchen sehr viel mehr Männer als Objekte der Betrachtung auf, als man in den üblichen Erotik- oder Sexcomics erwarten würde, wobei die Ausübung des Sexualaktes mediumbedingt schon immer wichtig war (Anschaulichkeit begünstigt vor allem Pornographie) – und damit auch eine gesicherte Präsenz von sexuelle aktiven Männern, deren Geschlechtsorgane durchaus prominent ins Bild gesetzt werden. Gerade weil Sex-Comics bis in die sechziger Jahre nur illegal erworben werden konnte, riskierte man besonders viel Drastik. Das kunstgeschichtliche (und kommerzielle) Äquivalent dazu sind die japanischen Shunga-Holzschnitte.

Aber in Spring 16 geht es nicht um Lusterweckung (als Begleiteffekt ist sie indes wohl durchaus einkalkuliert, siehe Leseproben). Die Hamburger Zeichnerin Moki, mittlerweile eine Veteranin bei Spring, setzt mit der ersten Bildergeschichte, „Mugelkenschen“ (als Variation auf das bekannte platonische Modell der Kugelmenschen, aus deren Aufspaltung Platon die Liebe von Paaren erklärt), gleich den anspruchsvollen Ton: Kulturell sollte man schon ein paar Kenntnisse oder zumindest Interesse mitbringen, wenn man das Sex-Heft von Spring liest, und die spezifische Niedlichkeit des Moki-Stils tut ein Übriges dazu, dass die über vier Seiten verteilte Bebilderung der Liebe nichts Unangenehmes oder gar Aggressives hat.. Der spätere Moki-Beitrag „ Where I End and You Begin“ im selben Band ist da weitaus realistisch-rücksichtsloser.

Es hat eine schöne Tradition, dass die Spring-Hefte mit einer Zusatzfarbe ausgestattet sind, diesmal ist es – welche Überraschung! – rosa. Das ist eine dumme Idee, denn in Birgit Weyhes Comic „Gendering Gustavito“, dem mit 26 Seiten umfangreichsten der Anthologie, wird zu Recht kräftig gegen die fixe sexualisierte Assoziation von Rosa mit Frauen/Mädchen gewettert, aber dann übernimmt das ganze Heft diese Konnotation, augenzwinkermd selbstverständlich, aber ironisch sind die Geschichten in Spring 16 gerade nicht, die Zeichnerinnen nehmen das Thema ernst, indem sie es auf vielfältige Weise dekonstruieren – aber eben nicht durch Ironie. Da wäre eine andere Farbwahl nicht nur konsequent, sondern auch wünschenswert gewesen, den dadurch möglichen ästhetischen Überraschungsmoment hat man vertan. Schade.

Das Stilspektrum und das bei Spring schon seit einigen Ausgaben immer interessanter werdende Verhältnis von Comic zu Illustration als erzählende Formen versöhnt dann wieder mit dieser Enttäuschung. Die wie in Ateliersitzungen entstandenen Skizzenblätter wirkenden Bleistiftzeichnungen von marialuisa haben graphisch gar nichts gemein mit den bewusst simple gehaltenen Comics von Aisha Franz oder den piktogrammatisch stilisierten Bildern von Stephanie Wunderlich (die mit ihrer „Adult Corner“ den plakativsten pornographischen Beitrag liefert, während ihr zweiter Beitrag fürs Heft, „Enden als jungfräulicher Freak“, eine witzige Kindheitserinnerung ist. Wie schon bei Moki könnte man vermuten, dass der Doppeleinsatz im Band eine Kompensation für das Wagnis darstellt, das diese beiden Zeichnerinnen mit ihren expliziten Darstellungen eingegangen sind, aber auch marialuisa hat zwei Geschichten in Heft 16, und davon ist keine provokativ, während Nina Pagalies mit „Viva la Vulva“ sehr direkt ist (obwohl das nach dem Erfolg von Liv Strömquists Comic „Der Ursprung der Welt“ wohl niemanden mehr irritieren dürfte).

Die neue Spring-Ausgabe will Sex im Comic auf neue Art inszenieren: durchaus als Blickfang, aber auf analytische Weise, also aus gesellschaftlicher, ökonomischer und eben weiblicher Sicht. Dass dabei das erzählerische Element gegenüber der offenherzigen Darstellung überwöge, kann man nicht einmal für alle Beiträge behaupten. Aber nach Ulli Lusts vor zwei Jahren erschienenem „Wie ich versuchte, ein besserer Mensch zu sein“ ist diese Anthologie schon der zweite hochinteressante weibliche Comic-Beitrag aus unserem Sprachgebiet zum Thema Sexualität. Kein Zufall, denn nirgendwo sonst auf der Welt haben Frauen derzeit eine solche Bedeutung für anspruchsvolle Comics wie in Deutschland. Wer will, darf das „sexy“ nennen. Solange damit der Reiz des Lesens gemeint ist.

TITANIC-Ausstellung in München

Am 28. Mai eröffnet im Valentin-Karlstadt-Musäum in München die TITANIC-Ausstellung „Hier lacht der Betrachter“. Zu sehen gibt es die besten Zeichnungen der vergangenen Jahrzehnte aus der beliebten Rubrik plus einige Karikaturen von Hilke Raddatz. Selbstverständlich wird auch Sondermann mit von der Partie sein.
Kuratiert wird die Ausstellung von Heiner Lünstedt, dem Leiter des Comicfestival München, in Zusammenarbeit mit dem Caricatura Museum Frankfurt und der TITANIC-Redaktion. Mehr Infos gibt es hier.

Leonard Riegel: Vom Greizeljopp

Es kam der Tag, an dem Graf Adolf-Adolf IV. beschloss, seiner Regentschaft über Odelslohe-Striegnitz ein wenig Schwung zu verleihen. „Immer dasselbe in der Grafschaft!“, klagte er, „Festmahle, Fuchsjagd, Mätressenprellen. Und das Volk täuscht die Freude an der Knechtschaft auch nur noch vor. Ich bin es leid!“

Er brüllte seinen Diener herbei: „Diener, ich habe eine Idee, wie wir das Glück in unserem Lande mehren.“ – „Wie denn, Euer Erlaucht“, fragte der herbeigeeilte Diener, „durch Steuersenkungen? Oder den Bau eines Stadtgartens?“ – „Nun übertreib nicht gleich!“, unterbrach ihn Adolf-Adolf, „ich dachte an ein Wappentier.“ – „Ein Wappentier?“, fragte der Diener dumm. „Ja, ein Wappentier“, erwiderte der Graf nicht minder dumm, „Eines, das Freude bereitet, wenn man es am Stadttor prangen sieht. Eines, das die Seele des Volkes erquickt und welches noch nie zuvor gesehen ward.“

„Hm“, überlegte der Diener, „Warum soll es nur ein einzelnes Tier sein? Warum nicht gleich mehrere Tiere in einem?“ – „Bravo“, rief der Graf, „sieh an: Manchmal bist du doch zu etwas nütze, alter Faselhannes! Ja, ein Mischwesen soll es sein: halb Hund, halb Schwein, aber mit der Großmut einer Ente und der Besonnenheit der Fische! Dem Tümpel des Eichenwaldes soll es entsteigen und sein nächtliches Jaulen soll die Dämonen strafen.“

Der Diener kam mit dem Schreiben kaum hinterher, so schnell sprach der Graf, der sich munter den Ausschlag unterm Gehrock kratzte. „Der Hofnarr möge die Legende im Volk verbreiten!“, befahl er, „und der Maler sein Bild dutzendfach verbreiten! Hast du alles mitgeschrieben?“– „Sehr wohl, Euer Erlaucht, jedoch fehlt noch etwas: der Name. Wie soll sie denn heißen, Eure Kreatur?“– „Na, wie wohl“, blaffte Adolf-Adolf, „das Greizeljopp!“ Da glotzte der Diener erst blöd und notierte dann den Namen.

Doch wie kurze Zeit darauf das Bildnis des neuen Stadttiers sämtliche Straßenzüge zierte und der Hofnarr nicht müde wurde, die Legende des Greizeljopps zu verbreiten, da geschah etwas Merkwürdiges: Niemand interessierte sich für das neue Wappentier. Allenthalben nur Achselzucken und Naserümpfen. Und nicht nur das: Die freundlich-süße Erscheinung des Greizeljopps nahm der Stadt jegliche Erhabenheit. Streunende Banden überfielen Odelslohe-Striegnitz zur erstbesten Gelegenheit, plünderten es und errichteten eine Herrschaft von Terror und Frevel. Noch auf dem Schafott soll Adolf-Adolf das Greizeljopp, sein eigenes Geschöpf, lauthals verflucht haben.

Ein Mischwesen soll es sein: halb Hund, halb Schwein, aber mit der Großmut einer Ente

Dies aber ist sein einziges noch existierendes Bildnis aus jener lang vergangenen Zeit. Bis heute dient es als Mahnmal gegen Frohsinn und Possierlichkeit. So, liebe Kinder, und jetzt ab in die Kantine! Es gibt Waffeln, auf, auf!

Leonard Riegel, Sondermann-Preisträger 2015

Hörspiel-Tipp: „The winner is … Das Sonderpreisdebakel“ (SWR2, 8.11.2018, 22.03 Uhr)

The winner is … Das Sonderpreisdebakel

Hörspiel von Oliver Maria Schmitt und Hans Zippert

Drei Tage vor Karneval geht‘s schon bei SWR2 los: Was ist da nur schiefgegangen im Stuttgarter Studio? Da streiten ein zweitklassiger Moderator und ein drittklassiger Literat um die Vergabe eines Kulturpreises.

Kaum ist der Vorhang gefallen, treffen die Kontrahenten aufeinander: der enttäuschte Bestecher und der überforderte Conferencier, der sich gerade live vor Publikum um Kopf und Kragen geredet hat. Kann man eine angesehene Auszeichnung denn einfach so kaufen?

Wer entscheidet überhaupt, ob jemand preiswürdig ist? Oder ist alles nur eine Frage der richtigen Verbindungen? Fragen, die sich nach dem Skandal um den Literaturnobelpreis immer drängender stellen.

Schmitt und Zippert wissen genau, wie die Preisvergabemaschine funktioniert. Beide haben Auszeichnungen gewonnen und Auszeichnungen vergeben. Beide sitzen in der Jury des Kulturfördervereins Sondermann e. V., beide kennen die Mechanismen des Kulturbetriebs und haben reichlich davon profitiert. In ihrem satirischen Hörspiel decken sie auf, was hinter den Kulissen tatsächlich passiert. Sie zeigen, wie man Einfluss auf eine Jury nehmen kann, welche Geldsummen fließen müssen und dass der Kulturbetrieb wohl noch viel korrupter ist, als man immer schon vermutete. Ihnen zur Seite steht Bernd Eilert, Autor für Otto Waalkes und »Titanic«-Mitbegründer, ein Mann, der mit allen Preiswassern gewaschen ist. Er berichtet, wie es ihm einmal gelang, sich als Juryberater selbst zur begehrten Auszeichnung zu verhelfen.

Ausstrahlung am Donnerstag, den 08.11.2018 um 22.03 Uhr auf SWR2

Alle Infos zur Sendung gibt es hier!

„Bernd Pfarr und die Literatur“ am 5.11.2018 im Literaturhaus Frankfurt

Heissa!! Und jetzt geht’s in’s Marienwäldchen!

Bernd Pfarr (1958–2004) gehört zu den bedeutendsten Bild-Erzählern, die Deutschland je hervorgebracht hat: unverwechselbar als Zeichner, virtuos als Maler, brillant als Autor, insbesondere durch seine Figur Sondermann. In seinem Werk ist die Literatur allgegenwärtig, ob er Gogol, Melville oder Strindberg in vier Bildern nacherzählt, ob Sondermann Gedichte im „Verein der Freunde der Würzmittel“ rezitiert oder die Automechaniker Dulle und Kapuste „Das Schloss“ diskutieren. Bernd Pfarrs Wegbegleiter, F.A.Z.-Redakteur Andreas Platthaus und Autor Bernd Eilert sowie der Schriftsteller Martin Mosebach und Cartoonist Leo Riegel, betrachten und erörtern Bernd Pfarrs Bezug zur Literatur, seine Vorlieben und Referenzen. Gezeigt werden eine Präsentation mit einer Auswahl seiner Arbeiten sowie Fernsehbeiträge, die den Künstler, der in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden wäre, selbst zu Wort kommen lassen.

Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Carlsen Verlag statt.

Montag, 5. November 2018 um 19.30 Uhr im Literaturhaus Frankfurt, Schöne Aussicht 2, 60311 Frankfurt am Main

VVK-Tickets sind hier erhältlich.

Daniel Sibbe: „Mein Vorbild Sondermann…“ (7 und Schluss)

Daniel Sibbe hat endlich sein Ziel erreicht. Er ist Sondermann-Stipendiat 2017. Doch zu welchem Preis? Nach Abschluss seiner 3-monatigen Praktikantenzeit in der Redaktion der TITANIC erreicht den Verein der erschütternde Brief eines anscheinend gebrochenen Esels, Entschuldigung! Menschen.

MEIN VORBILD SONDERMANN… und was daraus wurde (7 und Schluss)

Dortmund, am Ende aller Tage

Sehr geehrte Frau Roth-Pfarr, sehr geehrter Herr Schmitt,

in den zurückliegenden drei Monaten war ich als Praktikant den Gelüsten und Launen eines Chefredakteurs in der Götterdämmerung seiner letzten Amtsmonate ausgesetzt. Ich musste niedere Arbeiten verrichten (Kaffee konsumieren, Drogen kochen, Abo-Werbeanzeigen schreiben etc.) und wurde von ihm und seiner Entourage schief angeguckt, wenn ich um 13 Uhr wie immer der erste im Büro war. Für meine „Kollegen“ „durfte“ ich den täglichen Berg an Tages- und Wochenpresse nach Titel und Datum sortieren. Hämisches Lachen und fröhliches Zuprosten drang bereits aus den Büros, während ich mich insbesondere nach den Wochenenden noch bis in den späten Abend hinein durch Berge von Altpapier weinte. Einmal steckte ich sogar heulend vor Wut heimlich einen „Focus“ in den archivierten „Stern“-Stapel und konnte daraufhin die ganze Nacht nicht schlafen. Erleichtert stellte ich am nächsten Tag fest, dass noch niemand meine gedankenlose Kühnheit bemerkt hatte – es war glücklicherweise ja auch erst kurz nach Mittag. Trotz der unermüdlichen Plackerei kann mancher Uralt-Redakteur bis heute mein Gesicht nicht meinem korrekten Namen zuordnen, wie dieser Paul Knorr.

Die freudlosen Nächte verbrachte ich einsam in einer kargen Hinterhofwohnung ohne fließend Internet. Diese wurde mir von einem Jungredakteur gegen Vorkasse (Frankfurter Mietspiegel!) überlassen, der mit seiner Freundin daraufhin ins mondäne Offenbach zog. Schnell wurde mir klar, dass die angeblich so verkehrsgünstige Bleibe zudem nur umständlich mit dem Zug zu erreichen war (Fußweg zur Bushaltestelle, Bus: Dortmund Kuithanstraße – Dortmund Hbf, Zug: Dortmund Hbf – Frankfurt Hbf, U-Bahn: Frankfurt Hbf – Bornheim Mitte, Fußweg zur Wohnung → Dauer: Minimum 3 Stunden).

Im Bockenheimer Redaktionsgebäude ging die mir täglich zugedachte Praktikantenpein weiter: Bis 13 Uhr war ich allein im Büro dem Telefonterror mutmaßlicher Terroristen ausgesetzt, die am anderen Ende der Leitung entweder schwiegen, ein unheimliches Glöckchen klingeln ließen oder leise kicherten („Hihi, der macht sich vor Angst jetzt in die Hose, oder Moritz?“ – „Bestimmt, Torsten!“). Nachmittags musste ich immer dem Paketboten öffnen, während alle anderen in ihren kugelsicheren Westen unter den Schreibtischen kauernd auf die Art meines Ablebens wetteten.

Man titulierte mich in einem heruntergekommenen Club vor fremden Leuten mikrophonverstärkt mehrmals als „ältesten Praktikanten der Welt“. Mit solch beschädigtem Ruf wurde ich beim Vortragen meiner Texte vom Publikum ein ums andere Mal offen verlacht.

Das schlimmste jedoch war immer dieser eine Freitag im Monat. Ich wurde bis spät in die Nacht gezwungen, die grauenhaften Heftbeiträge der anderen zu lesen und auf Fehler hin zu korrigieren. Doch statt wie angemessen mit einem dicken, roten Edding diesen Machwerken zu Leibe zu rücken, wurde mir ein billiger Plastikkugelschreiber in die Hand gedrückt. So konnte ich lediglich hier und da mit dünner Mine auf einen unpassenden Ausdruck oder eklatanten Zeichensetzungsfehler hinweisen oder falsch geschriebene Wörter (Siebbe, Sibe, Sebbi etc.) bemängeln, Meist schleppte ich mich von diesen Akkordschichten erst gegen Morgen wieder (natürlich als letzter) wie betrunken zurück in mein Bernemer Pritschenlager.

Und als sei das nicht genug an Repressalien, wurde ich auch noch per fernmündlichem Knebelvertrag für ein Jahr an die Internetpräsenz eines Kunst- und Kulturvereins gebunden. Dabei wähnte ich mein früheres Leben als Förderschullehrer mit seinen ganz realen Sondermännern, -frauen und -lingen doch bereits hinter mir.

Nun sitze ich drei Monate später apathisch ins Leere starrend wieder zu Hause. Meine Frau hat mich verlassen („Ich bin arbeiten!“), der eigene Sohn ebenso („Ich bin im Kindergarten!“) und die Kasse lehnt einen Aufenthalt im Sanatorium mit der Begründung, ich solle mich nicht so anstellen, schließlich sei ich kein „Zeit“- oder „SZ“-Voluntär gewesen, ab.

Ich bitte den Verein daher um eine milde vier- bis fünfstellige Gabe, damit ich als Sondermannstipendiot, der nicht vergessen kann, zumindest zu vergeben vermag.

Mit letzten Grüßen

Daniel Sibe Sebbi Sibbe

Daniel Sibbe: „Mein Vorbild Sondermann…“ (6)

Daniel Sibbe, Sondermann-Stipendiat 2017, hat sein Ziel fast erreicht. Nur welches? Zuvor plagen ihn allerdings noch einige Zipperlein an Leib und Seele (Kopf, Kopf und Kopf).

MEIN VORBILD SONDERMANN… und was daraus wurde (Folge 6)

Erste letzte Züge

Um nach einer schmerzhaften, aber äußerlich nicht sichtbaren Zahnwurzelbehandlung das den Schmerzen angemessene Mitleid zu erzeugen, sollte man zusätzlich zum betäubten, herabhängenden Mundwinkel auf dem Nachhauseweg noch einen Arm schlaff nach unten baumeln lassen und ein Bein nachziehen. Bedauernde Blicke und Worte („… noch so jung!“) garantiert!

D1353 M1TT31LUNG Z31GT D1R, ZU W3LCH3N GRO554RT1G3N L315TUNG3N UN53R G3H1RN F43H1G 15T! 4M 4NF4NG W4R 35 51CH3R NOCH 5CHW3R, D45 ZU L353N, 483R 91TTL3W31L3 K4335T 77 145 50 8D364C65833 5C7738 441F1 03T5T37, 8123 44 5455 4TT4L 9455 35 1134 97LK 565F8932 785 H729 H58D 815 06651 0965 01758 54555440440541 N4844 77CH4RT 29501 896029 /%**§$«(!‘## 1D10T!

Ich, Mitte dreißig und nach wie vor Single, ertappe mich in letzter Zeit immer häufiger dabei, mit Wehmut auf die langjährigen Beziehungen in meinem Bekanntenkreis zu blicken. Bisweilen fehlt es mir doch sehr an dieser innigen partnerlichen Verbundenheit, die sich zum Beispiel in der liebenswürdigen Schrulle äußert, einander die Sätze gegenseitig zu ergänzen. Auch meinen Freunden ist diese Melancholie nicht verborgen geblieben. Ihre Sorge, ich hätte aufgrund meines Alleinseins mittlerweile depressive Züge und eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung entwickelt, die therapeutischer Hilfe bedarf, teile ich allerdings nicht. Das kann nämlich schließlich keiner besser beurteilen als …

Du, Schatz!

(Fortsetzung folgt)