Vordergründig fröhlicher Rassismus
von Andreas Platthaus
Anton Kannemeyer aus Kapstadt leiht sich bei Hergé die Klare Linie aus und gestaltet bitterböse Comics und Gemälde über die Nachwirkung der Apartheid in Südafrika. Zu bestaunen ist das jetzt in „Papa in Afrika“
Nein, die Rechteinhaberin von Hergé, eine nach dem belgischen Zeichner benannte Stiftung, die als wenig zimperlich gilt, wenn es um Verbotsanträge geht, hat sich noch nicht bei Anton Kannemeyer gemeldet (oder wenn doch, hält er es geheim). Immerhin warf eine Mitarbeiterin der Fondation auf der Frankfurter Buchmesse einen fragenden Blick auf das gerade vom Avant Verlag ins Deutsche übersetzte Kannemeyer-Album „Papa in Afrika“. Dessen Umschlag zitiert „Tim im Kongo“, doch sobald man genauer hinschaut, ist alles ganz anders
Die harmonistische Welt des Hergé-Bandes von 1931, der von einem tapferen Belgier erzählt, der dem dunklen Afrika Sitte und Anstand beibringt, ist hier einem Schlachthaus gewichen, in dem Leichen vor einem klapprigen Oldtimer liegen, den im Original natürlich Tim steuert. Bei Kannemeyer tut das ein dicklippiger Schwarzer, und der Zeichner selbst sitzt neben ihm – auf dem Platz also, den bei Hergé Tims schwarzes Faktotum innehat. Die Rollen sind vertauscht. Doch Kannemeyer – dem Namen merkt man seine Burenherkunft schon an – macht daraus keine Lehre, sondern eine Satire. Denn viel geändert hat sich in seinem Heimatland Südafrika nicht am Machtverhältnis und gegenseitigen Verständnis von Weißen und Schwarzen.
Daß Kannemeyer zur Illustration dieses Sachverhalt ausgerechnet die von Hergé begründete Klare Linie nutzt, ist kein Raub der Unschuld, wie es Jonas Engelmann in seinem Nachwort behauptet. Welche Unschuld hätte denn da geraubt worden sollen, nachdem gerade „Tim im Kongo“ immer wieder zum Gegenstand heftigster Rassismus-Vorwürfe gemacht wurde, bis hin zu – abgewiesenen – Klagen vor belgischen Gerichten? Vielmehr raubt Kannemeyer Hergés Ästhetik die Schuld, denn seine Schilderungen aus dem Südafrika der jüngeren Vergangenheit zeigen, daß man eben immer Kind seiner Zeit ist und sich Veränderung günstigenfalls in Jahrzehnten bemißt. Daß Hergé Zerrbilder von Schwarzen gezeichnet hat, ist aus heutiger Sicht eindeutig. Damals aber fand man seine Darstellungen urkomisch, und gewiß nicht nur aus rassistischer Voreingenommenheit. Das Bild von Schwarzen wurde ja eher von den geschminkten Akteuren des Minstrel-Shows bestimmt als von eigener Anschauung.
Just diese Anschauung ist seit der Aufhebung der strengen, durch die Apartheid vorgeschriebenen Rassensegregation in Südafrika vor bald einem Vierteljahrhundert dort nun möglich. Doch Kannemeyer zeigt, wie die Vorurteile munter fortwuchern. Er packt dabei auch solch unschöne Themen an wie den Vergewaltigungsversuch eines Schwarzen an einer weißen Joggerin, die aber das Phantombild dann nur im Stil einer Farbigen-Karikatur hinbekommt. Die Episode ist ausgewiesen als nach einer wahren Geschichte erzählt. Man hätte das tatsächliche Phantombild gern gesehen.
Die Geschichten, die Kannegießer in „Papa in Afrika“ versammelt hat, sind nicht alle im Stil der Klaren Linie gezeichnet, aber wenn, dann sind seine Parodien besonders grandios. Ganze Seitenarrangements adaptiert er aus „Tim im Kongo“ und steigert deren Geschehen ins Abstruse. Die längeren Erzählungen greifen dann eher amerikanische Einflüsse aus (Leseprobe). Immer wieder zwischengeschaltet sind großformatige Acrylbilder im Cartoonstil, die als gigantische Witzzeichnungen einen Sarkasmus vorführen, der keine Tabus kennt – weder sexuelle noch soziale oder religiöse. Kannemeyer würde gut ins Umfeld des deutschen Satiremagazin „Titanic“ passen, das mit dem Belgier Kamagurka einen seelen- und stilverwandten Kollegen publiziert.
Besonders perfide ist jedoch die Sorgfalt, die Kannemeyer der Nachempfindung des „Tim und Struppi“-Looks seines Albums hat angedeihen lassen. Gerade weil alles so grandios nahe am Original, aber doch immer konsequent pervertiert ist, wandelt der Zeichner aus Kapstadt traumwandlerisch auf dem heikelsten Feld der Comic-Rechtstreitigkeiten, ohne belangt zu werden. Das allein ist schon eine großartige Leistung und eine größere Empfehlung, als wir sie hier überhaupt aussprechen könnten. Für sensible Leser ist das aber nichts.