Architektur in Wirklichkeit und im Comic
Gescheitert am höchsten Niveau: der Kulisse, die sich den Alpen verdankt und dem Architekten Peter Zumthor. Lucas Harari führt uns mit „Der Magnet“ in die Therme des Schweizer Ortes Vals.
Erst einmal diesen Link aufrufen: und dann nur ja nicht direkt die Leseprobe anwählen, sondern nur das Umschlagbild auf sich wirken lassen. Viel schöner kann ein Comic nicht aussehen als Lucas Hararis „Der Magnet“ – als wollte er mit dem Titel der Geschichte auch die Anziehungskraft seines Covers beschwören. Das zeigt einen nächtlichen Badegast in der Therme des schweizerischen Alpenorts Vals, und dieses Gebäude ist weltberühmt, weil es von Peter Zumthor entworfen wurde, dem größten lebenden Architekten. Gemeinsam mit der Bergkulisse im Hintergrund gibt die charakteristische Architektur der Therme eine Szenerie ab, in die man sofort selbst reisen möchte. Oder zumindest den Comic aufschlagen, um von dessen Erzählung dorthin entführt zu werden.
Tun Sie es nicht! Denn die Geschichte taugt nicht viel. Belassen Sie es beim Titelbild, kaufen Sie auch gerne das Buch, um es frontal ins Regal zu stellen. Als Objekt überzeugt es, als Comic nicht. Und wenn Sie dann doch schwach werden, können Sie sich damit trösten, dass es Ihnen geht wie etlichen Rezensenten dieses Bandes, die genauso bezaubert waren vom Aussehen des Comics. Aber lesen Sie genauer als diese! Denn auch die meisten bisherigen Lobesarien auf den Band taugen nichts. Sie sind bildbesoffen. Ja, Harari kann zeichnen (wobei er etwas zu sehr in Richtung Charles Burns schielt). Aber nicht erzählen. Seine mystische Geschichte im mythischen Bad des Peter Zumthor lebt nur durch den Schauplatz, ansonsten ist sie mausetot.
Wir wandeln mit dem gescheiterten Pariser Architekturstudenten Pierre durch die Räume und Becken der Anlage, und das mag den sündteuren Aufenthalt dort virtuell ersetzen. Doch die Motivation für Pierres Besuch in der Schweiz ist so erkünstelt, dass man sich fragt, was Harari geritten haben mag, als ihm diese Geschichte einfiel. Man muss fürchten, das etwas Autobiographisches mit drinsteckt, denn das Leben schreibt manchmal auch die schlechtesten Geschichten. Öfter übrigens als die besten. Ich habe „Der Magnet“ gelesen, aber ich mag die Handlung nicht nacherzählen, es ist zu krude. Einen Einwand gegen den Comic will ich jedoch noch anbringen, weil er mir nicht eine Frage persönlichen Geschmacks zu sein scheint, sondern fundamental und objektiv: Die Seitenarchitektur von Lucas Harari ist so einfallslos, dass man gerade im Vergleich mit der Zumthor-Kulisse leidet. Denn Harari setzte seine Bilder zu massiven Blöcken zusammen, keine Abstände dazwischen, eine kompakte Masse an Zeichnung.
So hat man Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Zeitungscomics gezeichnet, und es gibt gute Gründe, dass damit bald Schluss war. Der Zwischenraum ist ein narratives Prinzip im Comic, wie kein Geringerer als Frank King in seinem Strip „Gasoline Alley“ 1920 und 1921 eindrucksvoll zeichnerisch ausgeführt und kein Geringerer als Scott McCloud in seinem Grundlagenwerk „Understanding Comics“ dann theoretisch-graphisch unterfüttert hat. Ein Verzicht sollte wohlbegründet sein. Bei Harari ist die einzige Begründung offenbar Beklemmung. Denn die soll wohl durch das nahtlose Aneinander suggeriert werden. Wie eine Befreiung empfindet man denn auch die ganz-, manchmal gar doppelseitigen Splash Panels, die in den Ablauf eingestreut werden, aber die wiederum sind reine Stimmungsmacher in Sachen Einsamkeit und Gleichgültigkeit der unbelebten Materie. Da widersprechen sich Absicht und Effekt.
Wann wird endlich mal ein sorgfältiges Lektorat Pflicht in Comicverlagen? Wenn selbst ein so renommiertes Haus wie die Edition Moderne schon keines zu unterhalten scheint … Aber gut, der Band ist ja „nur“ eine Lizenzausgabe, übersetzt aus dem Französischen, dort publiziert beim bisweilen etwas zu sehr in graphisch manierierte Projekte verliebten Verlag Sarbacane – dem wir allerdings auch die Entdeckung des deutschen Zeichners Mikael Ross verdanken, dessen „Umfall“ dieses Blog kürzlich erst gefeiert hat. Vielleicht wird Hariri seine Hodler-, Foucault- und Chaland-Seligkeit, die sich jeweils in markanten Details verrät, irgendwann zugunsten eines Erzählens aufgeben, das diesen Vorbildern auch inhaltlich gerecht wird. Immerhin gibt es spät im Band eine Seite, bei der die Randlinien eines Bildes gesprengt werden – und das inhaltlich gut motiviert. Harari kann es also, er müsste vielleicht nur wollen. Bis er es aber will, wollen wir nicht. Nur nach Vals, da wollen wir immer noch hin.