Lukas Kummers Comic „Prinz Gigahertz“ ist ein Grenzgänger in inhaltlicher wie ästhetischer Hinsicht. Und ein Beweis für die verblüffende Erzählfreude seines Schöpfers.
Diesen Comic hatte ich schon einmal gesehen. Nein, nicht weil er aussieht, als hätte Moebius ein Szenario von Lewis Trondheim umgesetzt (und Trondheim dann doch auch noch selbst zeichnerisch ein bisschen Hand angelegt, etwa bei den Totenschädeln am Wegrand). Sondern weil ich ihn tatsächlich in einem früheren Stadium schon teilweise gelesen hatte, aber da er mich damals anonymisiert erreichte, wäre ich nie darauf gekommen, dass er von einem der größten Talente der deutschsprachigen Comicwelt stammt: von Lukas Kummer.
Das könnte jetzt alles so klingen, als hielte ich nichts von „Prinz Gigahertz“, dem jüngsten Comic Kummers. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist das bislang beste Werk des 1988 geborenen Österreichers, der in Kassel das Comiczeichnen studierte und heute noch dort lebt, ein Lustbuch der persönlichsten Art, in dem seine Vorlieben und Stärken überdeutlich werden. Und wenn ich es das bislang Stärkste von Kummer nenne, dann übertrifft es also auch dessen gefeierte Adaption der autobiographischen Bücher von Thomas Bernhard, deren erste beiden Teile, „Die Ursache“ und „Der Keller“, erst kürzlich beim Residenz-Verlag erschienen sind: höchste Ehre, dort die ersten Comics publizieren zu dürfen, und hohe Kunst, wie Kummer da an Bernhard herangeht. Aber daneben auch noch etwas wie „Prinz Gigahertz“ zu zeichnen – Chapeau! Denn damit hat Kummer ganz offensichtlich den Druck der Erwartungen an seine Bernhard-Comics kompensiert.
Weiter weg von seinen Schwarzweißbildern von Bernhards weltzweifelnder und -verzweifelter Nabelschau geht es nämlich kaum. Das beginnt mit den schreienden Farben; schon das Titelbild ist neonrosagrün und weckt optisch Erwartungen an einen Science-Fiction. Irgendwie ist der Comic das auch, denn er spielt in einer unbestimmten, aber ganz gewiss noch weit weg liegenden Zukunft, in der es zu Überschneidungen zweier Paralleluniversen kommt: eines archaisch-mittelalterlichen und eines dekadent-futuristischen. Ein Grenzgänger zwischen beiden Welten ist ein wehrhafter Ritter, über den der Titel des Comics etwas andeutet, was die Geschichte selbst erst ganz zum Schluss verrät – und dieses Blog gar nicht.
Schön geht es nicht zu in der Mittelalter-Welt, die den Hauptschauplatz stellt. Der Protagonist, der gar nicht Gigahertz heißt, sondern Billy, ist nach einem dreißig Jahren währenden persönlichen Blackout wieder erwacht, äußerlich gänzlich unverändert und leider immer noch von einem mordgierigen Roboterdämon verfolgt, der eine Spur des Gemetzels hinter sich lässt, die Kummer mit erkennbarer Freude an Drastik ins Bild setzt. Aber keine Sorge: So gewalttätig das Geschehen ist, bleibt die Darstellung doch immer im spielerischen Modus von Fantasy, und das Phantastische wirkt eben nie realistisch bei Kummer. Zumal er auf Lautmalereien komplett verzichtet, und das ist bei manchen Szenen ein Segen. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie klingt, was der Roboterdämon da anrichtet.
Dass Kummer auch weiß, wie man sich mit graphischem Grauen in die Erinnerung seiner Leser eingräbt, hat 2015 sein Debüt „Die Verwerfung“ gezeigt: eine extrem grausame Episode aus dem Dreißigjährigen Krieg, damals erschienen beim kleinen, aber für die jüngere deutsche Comicgeschichte unentbehrlichen Stuttgarter Zwerchfell-Verlag. Dorthin ist Kummer mit seinem „Prinz Gigahertz“ zurückgekehrt, obwohl sich auch größere Häuser die Finger nach dem Band hätten lecken können: Reprodukt etwa der erzählerischen Nähe zum überschäumenden Zynismus von Lewis Trondheim wegen. Oder Carlsen wegen der klaren Farb- und Formensprache, die ans Edena-Projekt von Moebius anknüpft (um die Anfangsbehauptung dieses Textes noch etwas zu untermauern). Aber der wichtigste Einfluss ist einer, der gar nicht aus der Comictradition stammt, sondern aus der Animation: Kummer zeichnet Dekors im Stil von Eyvind Earle, dem legendären Konzeptgestalter des Disney-Studios der fünfziger Jahre. Wenn man sich die – klugerweise sämtlich sprechblasenfrei gewählten – Probeseiten aus „Prinz Gigahertz“ auf der Verlagsseite ansieht, dann könnten die auch aus den Entwürfen Earles für den „Dornröschen“-Trickfilm von 1959 stammen.
Aber Nostalgie ist Kummers Sache nicht, Dystopie schon weitaus mehr. Und Diachronie, denn die Handlung springt munter zwischen den Zeiten, wenn Kummer die Erinnerungen von Billy an die Ereignisse von vor dreißig Jahren ansatzlos ins aktuelle Geschehen einfließen lässt. Da konstruiert man als Leser eifrig mit und merkt erst spät, dass der Autor die ganze Zeit munter dekonstruiert hat. Wenig ist, wie es scheint, in „Prinz Gigahertz. Mit einer Ausnahme: Lukas Kummer scheint auf dem besten Weg, zu einem der prägenden Comic-Künstler seiner Generation zu werden.