Die jüngste Fortsetzung der klassischen Serie „Blake und Mortimer“ hat eine Sensation: den Zeichner Francois Schuiten. Und eine beklagenswerte Schwäche: alles andere.
Nie haben Blake und Mortimer so alt ausgesehen, und dabei sind sie ja schon seit 1946 im Comicgeschäft. Das ist sowohl comichistorisch wie inhaltlich richtig, denn das erste Abenteuer, in dem der belgische Zeichner Edgar Pierre Jacobs seine beiden britischen Helden auftreten ließ, „Kampf um die Welt“, erschien 1946 im Magazin „Tintin“, und das Geschehen, das darin erzählt wurde, fand in der unmittelbaren Gegenwart statt: einer Nachkriegswelt, die allerdings ganz andere Züge trug, als die Realität. Der Leutnant Francis Blake und der Physiker Philip Mortimer hatten es mit einem asiatischen Diktator zu tun, der die kriegszerrüttete Menschheit unterwerfen wollte. Die in Europa altbekannte „gelbe Gefahr“ ließ grüßen; an Klischees ist diese Serie traditionell sehr reich.
Mit Jacobs‘ Tod schien sie 1987 zu Ende, denn wer sollte dieses Mammutprojekt, in dessen akribischen Ligne-claire-Bildern es Textmengen zu bewältigen galt wie in keiner anderen erfolgreichen Comicserie, bewältigen? Jacobs hatte sie immerhin sein halbes Leben lang gezeichnet, und am Ende waren die Abstände zwischen den Einzelbänden wie bei seinem Lehrmeister Hergé immer größer geworden; allerdings machte Jacobs auch alles selbst. Als er starb, lag „Mortimer gegen Mortimer“ unvollendet vor, aber Bob de Moor, wie Jacobs ein wichtiger Hergé-Assistent, brachte das Abenteuer zu Ende. Danach sollte es gut sein. Aber warum, sagten sich die Erben, darf ein Riesengeschäft so einfach mit seinem Begründer sterben?
Also erschien 1996 mit „Der Fall Francis Blake“ das erste Album, mit dem Jacobs nichts zu tun hatte, immerhin gezeichnet von Ted Benoît, der den Stil des Serienschöpfers so perfekt imitierte, dass kein Bruch zu sehen war. Und mit Jean van Hamme setzte man einen der renommiertesten Szenaristen auf die Geschichte an. Zum großen Erfolg wurden die Fortsetzungen aber erst zur Jahrtausendwende, als mit André Juillard nicht nur ein großer Könner, sondern auch ein Bestseller-Zeichner die Feder bei „Blake und Mortimer“ führte. Er wurde gemeinsam mit dem Szenaristen Yves Sente zum Rückgrat der Serie, und die Pausen zwischen den Bänden des Duos füllte man mit Arbeiten von weiteren Hoffnungsträgern, die aber alle nicht recht überzeugten. Inzwischen aber wurde „Blake und Mortimer“ immer berühmter, vor allem nachdem der größte Teil des Nachlasses von Jacobs in den Besitz der König-Baudouin-Stiftung übergeben wurde. Seitdem ist Jacobs mehr noch als Hergé der belgische Comic-Nationalheilige.
Und vor wenigen Wochen ist der jüngste Band der Serie erschienen – derjenige, in dem Blake und Mortimer so alt aussehen. Er heißt „Der letzte Pharao“, und wer bei dem Titel nicht an „Das Geheimnis der großen Pyramide“ denkt, das Jacobs Anfang der fünfziger Jahre publiziert hat, der kennt „Blake und Mortimer“ nicht (wer sein Gedächtnis auffrischen will, tue das hier). Tatsächlich zitiert der neue Band schon mit der Anfangssequenz das siebzig Jahre alte Abenteuer (man ist noch einmal mit Balke und Mortimer im Inneren der großen Pyramide von Gizeh), doch im Laufe der Handlung führt das Geschehen in ein Brüssel der achtziger Jahre, wenn man das Aussehen der Computer in den Büros als Maßstab nehmen darf. Es ist eine alternative Weltvergangenheit, denn im Justizpalast von Brüssel, einem Protzbau aus der Kolonialzeit des kleinen Landes, der selbst wie eine Pyramide über der Stadt thront, wurde in den siebziger Jahren (wenn man das Aussehen Autos als Maßstab nimmt) eine seltsame Strahlung frei, die eine Evakuierung der belgischen Hauptstadt erforderlich machte. Doch einige Bewohner sind in der künftigen No-go-area zurückgeblieben und begründen dort eine neue Gesellschaft, die sich vor allem in den Katakomben der Metropole ansiedelt und eine quasimystische Weltanschauung pflegt.
Nun dürfen Comickundige dreimal raten, wer für eine solche Geschichte wohl verantwortlich ist, und das Moebius tot ist, sollten sie sofort auf Francois Schuiten kommen. Dessen gemeinsam mit Benoît Peeters konzipierte Serie der „Geheimnisvollen Städte“ gab die Blaupause her für ein Szenario, das problemlos auch in diesen Zyklus gepasst hätte, und Schuiten hat zwar nicht Peeters an Bord geholt, aber mit Jaco van Dormael und Thomas Gunzig willige Adepten. Und er hat Blake und Mortimer für ihre Auftritte in den achtziger Jahren heftig altern lassen. Da Carlsen seine Leseprobe, wenn es sie geben sollte, wieder einmal gut versteckt hat, hier ein Verweis auf eine reiche französischsprachige Website. Hier kann man sich ansehen, wie die beiden Helden aussehen. Für ihren angegrabbelten Zustand sind sie noch reichlich rüstig, wenn auch Mortimer die deutlich größere Rolle innehat.
Was Schuiten graphisch veranstaltet, ist aller Ehren wert, die Geschichte dagegen ist bei allen traditionellen Klischees selbst eines. Pate für die Handlungsgrundidee stand erkennbar der Reaktorunfall von Tschernobyl, der ein riesiges unfreiwilliges Naturschutzgebiet geschaffen hat, in dem es weitaus besser aussieht, als man sich das 1986 hätte träumen lassen. Doch anstatt etwas aus dieser Konstellation zu machen, wird in „Der letzte Pharao“ nur immer mehr Jacobs zitiert, wird alles noch seltsamer, und da können auch die pastelligen Schuiten-Farben nichts mehr retten, die eine unwirkliche alternative Realität schaffen, die zum Bemerkenswertesten gehört, was ich seit langer Zeit gesehen habe. Aber Geschichte schlägt Graphik, das war beim Comic schon immer so, und hier ist die Graphik mit einer schwachen Geschichte geschlagen. Pech. Aber dem Erfolg der neuen „Blake und Mortimers“ wird das keinen Abbruch tun.