Matthias Gnehm verbindet in „Salzhunger“ einen Polit-Thriller mit Globalisierungskritik und psychologischer Studie.
„Salzhunger“ habe ich zum ersten Mal gelesen, als Matthias Gnehm sich damit vor zwei Jahren um den Leibinger-Comicbuchpreis bewarb. Er hat ihn damals nicht gewonnen, aber die Geschichte kam unter die zehn Finalisten, und das mit gutem Grund. Gnehm erzählt unter dem erst einmal rätselhaften Titel (er bezieht sich auf eine Redensart, die den gierigen Antrieb für einen Menschen beschreibt) aus der Welt der globalen Hilfsorganisationen, und es war ein Zufall, der mir damals gar nicht auffiel, dass das damalige Gewinnerbuch seinen Ausgang beim selben Phänomen nahm: „Blavand“ von Thomas Pletzinger und Tim Dinter hat einen Aussteiger aus dieser Szene zum Protagonisten. Bei Gnehm dagegen ist die Hauptfigur ein Einsteiger in diese Szene.
Sein Band ist nun bereits fertig und gerade bei der Edition Moderne erschienen, während wir auf „Blavand“ wohl noch etwas werden warten müssen – aktuell geht für Pletzinger seine frisch publizierte, langerwartete Dirk-Nowitzki-Studie „The Great Nowitzki“ vor. Dass Gnehms Comic mittlerweile abgeschlossen ist, scheint mir aber umso bemerkenswerter, als er nicht nur 220 Seiten umfasst und damit das bislang umfangreichste Buch des Schweizer Zeichners geworden ist, sondern es hat sich gegenüber der eingereichten, seinerzeit noch unabgeschlossenen Version von 2017 sehr verändert. Es gehört sich nicht, Insiderwissen über solche Vorstufen preiszugeben, aber so viel immerhin sei angedeutet: In Gnehms früherer Fassung gab es längere Partien, die allein als Text erzählt wurden, ohne Bilder. Das hatte einen ganz eigenen Reiz, der mir jetzt in der Endfassung fehlt. Aber das mag nostalgische Wehmut beim Gedanken an die Überraschung von ehedem sein.
Die Geschichte selbst nämlich ist besser geworden, als sie es damals war. Gnehm hat eine geradlinigere, aber faszinierende Struktur gewählt, die das Hauptgeschehen als Rückblick in eine Rahmenhandlung einordnet, die in ihrer Ausdeutung durchaus ambivalent ist (eine schöne Leseprobe findet sich auf der Website des neunundvierzigjährigen Zeichners: ). Es geht nicht alles logisch auf, was sich in der Erinnerung des Aktivisten Arno Beder abspielt, der gleich zu Beginn des Buchs in Zürich ins Wasser geht. Vor einigen Monaten hat er bei der Schweizer Abteilung einer globalisierungskritischen Organisation namens „Erzfeind“ angeheuert und musste auch dort gleich ins kalte Wasser: gemeinsam mit einer Kollegin auf einen Einsatz ins nigerianische Lagos, wo in jeder Hinsicht schmutzige Geschäfte mit Erdöl getätigt werden. In der afrikanischen Metropole entwickelt sich aber alles ganz anders, als man es sich bei „Erzfeind“ vorgestellt hat.
„Salzhunger“ ist in gewisser Weise ein Krimi, wenn auch die vordergründige Aufklärung schon nach gut zwei Dritteln der Handlung erfolgt. Viel wichtiger als sie ist aber ohnehin das psychologische Spiel von Überzeugung und Verrat, das hier am Beispiel nicht nur der einerseits wohlmeinenden, andererseits ehrgeizigen Hilfsorganisation, sondern auch anhand der Großindustrie und des Polizeiapparats in Nigeria entfaltet wird. Und wichtiger sind auch die großartigen Pastellbilder von Gnehm, mit denen er das von ihm selbst zu Recherchezwecken besuchte Lagos zur Anschaulichkeit bringt. Das sieht der Farben und auch mancher Formen wegen manchmal so aus wie von Enki Bilal gezeichnet, aber die Figuren mit ihren durchaus karikaturesken Zügen (Knollennase bei Arno, feiste Physiognomien bei den Firmenvertretern) sind ganz originärer Gnehm. Und ein sowohl erzählerischer als auch graphischer Realismus, wie der Schweizer ihn pflegt, wäre bei Bilal natürlich undenkbar.
Wobei die apokalyptischen Grundstimmung bei beiden vergleichbar ist, ihre gesellschaftliche Skepsis und auch die Dauerthematik des Liebesverrats dahinter. Gnehm hat aber in seinen ungerahmten Panels, die dadurch wie in der Hektik des atemlosen Geschehens eilig arrangiert wirken, einen immensen seitenarchitektonischen Abwechslungsreichtum zu bieten, bis hin zu einem verstörenden doppelseitigen Close-up auf Arnos Gesicht, das ein grandioses Irritationsmoment schafft. Diese Hauptfigur, das weiß man spätestens da, ist ein unzuverlässiger Erzähler, was aber nicht meint, dass wir ihm nicht trotzdem nahezu alles glaubten. Das größte Geschick von „Salzhunger“ liegt in der Verbindung einer politisch unterfütterten Abenteuergeschichte und einem Psycho-Drama. Das Private ist hier politisch und umgekehrt. Man sollte diesen Band unbedingt lesen. Viel actionreicher und zugleich intimer kann man sich Comics kaum vorstellen.