Comic-Blog

Obacht! Vorlesespaß
von Andreas Platthaus

Was passiert, wenn man zur Vorstellung eines Comics geht, den man gar nicht mag? Manchmal etwas sehr Erfreuliches – wie jetzt in Frankfurt zum Auftakt der neuen Gesprächs- und Lesereihe „Stories and Strips“.

Über eine neue Comicreihe soll hier erzählt werden, aber keine mit Büchern, sondern eine, die vier- oder fünfmal im Jahr an idealerweise wechselnden Orten Comickünstler mit deren neuen Publikationen vorstellen soll. Nicht, dass es solche Präsentationen seit dem breiten Erfolg der Graphic Novels nicht schon in Buchhandlungen, Literaturhäusern oder Kulturzentren gäbe, aber erst einmal bislang nicht in Frankfurt am Main und dann auch anderswo nicht mit der hier avisierten Regelmäßigkeit.

„Stories + Strips“ ist der Rahmentitel der Reihe, und der Organisator Jakob Hoffmann macht keinen Hehl daraus, dass ihm dafür der Name der Hamburger Spezialbuchhandlung „Strips + Stories“ als Ideenlieferant diente (von denen er aber eine – dann auch freundlich erteilte – Genehmigung erbat). Das passt, weil auch dieser erst seit einigen Jahren etablierte Mittelpunkt der äußerst regen Hamburger Comicszene sich vor allem anspruchsvollen Hervorbringungen widmet und damit perfekt den Erwartungen des durch die Graphic Novels neugewonnenen Publikums entspricht. Es sind oft Hipster, die voller Stolz verkünden, dass sie keine Comic läsen, sondern eben nur Graphic Novels, aber das ist auch das einzig Naive an ihnen.

Zur Premiere der „Stories + Strips“-Reihe fanden sich an die drei Dutzend Interessenten in der Frankfurter Goldstein Galerie (spezialisiert auf Outsider-Art) ein, was den schönen Raum eines ehemaligen Feinkostladens mit Resten gründerzeitlicher Bemalung bis auf den letzten Platz füllte. Einige mußten gar stehen. Da traf es sich gut, daß der erste Gast, die Kanadierin Kate Beaton, gerade erst angekommen und seit 24 Stunden auf den Beinen war, so daß man ihr nicht mehr als eine Stunde zumuten wollte. Ihre Lebendigkeit, die sich vor allem in schallendem Lachen äußerte, legte allerdings Zeugnis davon ab, daß man ihr wohl noch viel mehr hätte zumuten können.

Beaton ist ein relativ junger Star des nordamerikanischen Independent-Comics. Sie wurde 1983 in Cape Breton geboren und lebt heute in Toronto, dem Herz der kanadischen Comicszene. Ihre Serie „Hark! A Vagrant“ hatte ich erst vor zwei Monaten in New York als Sammelband kennengelernt, gelesen, dann aber entschieden, das Buch nicht zu kaufen. Um so überraschender, daß der Zwerchfell-Verlag es kurz danach auf Deutsch herausbrachte, unter dem sehr schönen Titel „Obacht! Lumpenpack“.

Damit wird zwar das Altertümliche des englischen Titels nicht ganz so deutlich wiederholt, aber wenn man von der Zeichnerin Asja Wiegand, die das Lettering der deutschen Ausgabe besorgte, hört, daß die Übersetzung ursprünglich „Die verrückte Geschichte der Geschichte“ heißen sollte, kann man sich nur freuen. Der Grundgedanke des als Webcomics (http://www.harkavagrant.com/) seit 2007 entstandenen Strip-Serie ist einfach: Kate Beaton nimmt aus Geschichte oder Literatur bekanntes Personal und läßt es miteinander Gespräche führen, die in der Wirklichkeit oder den Büchern nicht stattgefunden haben. Daß sie dabei gängige Klischees über die jeweiligen Figuren nutzt, ist selbstverständlich.

Allerdings überzeugte mich bei der Lektüre auch die deutsche Fassung nicht. Vor allem, weil die meisten der sehr kurzen stripartigen Geschichten von Kate Beaton sich auf Phänomene der angelsächsischen Kulturgeschichte, bisweilen gar – ganz schwierig für Europäer – der kanadischen beziehen. Aber auch wenn man etwas gut kennt, Shakespeares Stücke etwa, Jane Austens Romane oder ein paar prominente historische Ereignisse, stellt sich oft ein schales Gefühl ein, weil die Masche so offensichtlich ist – und viele Gags absehbar. Zumal Kate Beaton über ein Talent ganz sicher nicht verfügt: eine Punchline zu liefern. Ihre Strips haben selten einen lustigen Abschluß, eher verlieren sie sich ins Unbestimmte.

Was bei Längen von drei bis acht Bildern auch schon wieder eine Kunst ist. Wie man auch bewundern kann, mit welcher erkennbaren Freude sich die Autorin ihrer Persiflagen annimmt (denn darum handelt es sich, nicht um alternative Geschichts- oder Literaturschreibung). Daß so etwas im Netz in Häppchen ganz hervorragend funktioniert, ist evident, und deshalb sind Website und Tumblr auch die bevorzugten Publikationsorte von Beaton. Wie sie selbst sagt, paßte sie 2007 genau den richtigen Moment mit ihrer Idee ab. Doch berühmt über die Netzkreise hinaus wurde sie erst durch die Buchpublikation (und erst seit ihr kann sie von ihrer Kunst auch leben).

In Frankfurt trat die studierte Historikerin im Gespräch mit Jakob Hoffmann mit einer Verve auf, die mitreißend war. Und die Schriftstellerin Alexandra Maxeiner las einige Episoden auf Deutsch mit so großer Begeisterung, daß man fast an seinem mittlerweile zweiten Urteil zweifeln mochte. Eine weitere Überprüfung bestätigte es danach leider abermals. Offenbar ist der Vortrag der Strips aber ein sicherer Weg zum Erfolg, und das dürfte für nicht wenige andere Comics auch gelten. Insofern ist die Etablierung von „Stories + Strips“ ein Segen. Am 21. Mai kommt mit Lewis Trondheim ein Superstar als Gast zur zweiten Ausgabe. Danach ist mit Reinhard Kleist für September ein weiteres Schwergewicht angekündigt, ehe im Oktober die Lokalmatadoren Piwi und Ingo Röhmling anstehen.

Am meisten aber freue ich mich schon auf November, wenn mit dem Franzosen Marc Boutavant ein Illustrator der Extraklasse nach Frankfurt kommen wird. All diese Zeichner genießen meine Bewunderung für ihre Bücher. Wenn dann die Menschen dahinter auch noch überzeugen, ist das besonders schön. Bei Kate Beaton schätze ich jetzt die Person. Vielleicht kommt eines Tages auch ein Comic von ihr, der mich überzeugt.